Die Schattenseiten des Fortschritts: Staudammbauten in Brasilien

Brasilien deckt beinahe seinen kompletten Strombedarf aus erneuerbaren Energien – davon stammen 60 Prozent aus Wasserkraft. Was erst mal gut klingt, ist ökologisch und sozial keineswegs unbedenklich.

In den letzten Jahrzehnten hat Brasilien massiv in den Bau von Staudämmen investiert. Diese Gigaprojekte, die oft als Symbole des Fortschritts und der Modernisierung gepriesen werden, haben jedoch schwerwiegende negative Auswirkungen. Der Bau von Staudämmen geht meist mit der Überflutung riesiger Flächen einher, was Ökosysteme zerstört und Lebensräume vernichtet. Die indigene Bevölkerung, die oft in diesen Gebieten lebt, ist von Vertreibung bedroht und verliert nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre kulturelle Identität, ihre traditionellen Lebensgrundlagen und Zugang zu Ressourcen wie Land und Wasser.

Auch viele Landwirtinnen und Landwirte verlieren durch die Überflutung ihrer Felder und Wälder ihre Existenzgrundlage. Sie müssen mit ansehen, wie ihre Heimat in den Fluten versinkt und ihre wirtschaftliche Basis zerstört wird. Die versprochenen Vorteile wie Elektrizität und Infrastruktur erreichen sie oft nicht, was soziale Ungerechtigkeit verstärkt.

Ein ökologischer Albtraum

Staudämme stauen Flüsse auf und schaffen riesige Stauseen, die oft weit über das ursprüngliche Flussbett hinausgehen. Das führt zur Überschwemmung großer Waldflächen und der Zerstörung wertvoller Lebensräume. Zahlreiche Pflanzen- und Tierarten, die in diesen Gebieten heimisch sind, finden keinen neuen Lebensraum und sind vom Aussterben bedroht.

Die Zersetzung von Pflanzenmaterial in den überfluteten Gebieten der Stauseen setzt enorme Mengen Methan frei, ein Treibhausgas, das rund 28-mal klimaschädlicher ist als CO2. Große Stauseen können auch das lokale Klima beeinflussen. Die veränderte Wasserfläche und -verdunstung führen zu anderen Niederschlagsmustern und können extreme Wetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen verstärken. Das hat gravierende Folgen für die Landwirtschaft und die Wasserversorgung der umliegenden Regionen.

Die Stauseen verändern die natürlichen Fließmuster der Flüsse drastisch, was die Wasserqualität negativ beeinflusst. Der stagnierende Wasserstand begünstigt die Ansammlung von Sedimenten und die Vermehrung von Algen, was zu Sauerstoffmangel und einem massiven Rückgang der Wasserqualität führt. Fische und andere Wasserlebewesen leiden unter diesen veränderten Bedingungen, was wiederum die Fischereiindustrie und die Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerung bedroht.

schwarz-weiß Foto von Baustelle eines Staudamms in Brasilien
Foto: MAB

Kampf gegen Giganten

Nara de Moura Silva arbeitet für das „Movement of Dam Affected People“ (MAB) und war im Rahmen einer Delegationsreise vom Welthaus in Österreich. Seit 33 Jahren setzt sich MAB für die Rechte der Menschen ein, die von Staudammprojekten betroffen sind. An 75 Standorten in 20 Bundesstaaten unterstützen sie die Betroffenen mit Bildung, Information und rechtlicher Beratung: „Wir helfen den Menschen, ihre Rechte zu kennen und sich zu wehren.“, sagt Nara. Das MAB kämpft auf gerichtlicher Ebene, organisiert Demonstrationen und bietet umfassende Beratung an.

Jedes Bundesland bringt einzigartige Herausforderungen mit sich. Oft sind die betroffenen Menschen nicht im Grundbuch eingetragen, sodass es schwierig ist, ihren Landbesitz nachzuweisen. Selbst wenn sie im Grundbuch stehen, wird auf ihre Rechte oft wenig Rücksicht genommen. „Insbesondere, wenn das Militär in Projekte involviert ist oder diese finanziert, ist die Situation besonders kompliziert“, weiß Nara.

Immer wieder brechen kleinere Staudämme. Es kommt zu tödlichen Unfällen und Umweltkatastrophen. Ein prominentes Beispiel ist der Dammbruch von Brumadinho 2019, bei dem mindestens 270 Menschen ums Leben kamen. Solche Katastrophen zeigen die teils gravierenden Sicherheitsmängel dieser Projekte auf.

Menschen protestieren mit schwenkenden Fahnen gegen Staudammprojekte in Brasilien
Foto: MAB

In der Verantwortung

Nach 20 Jahren Kampf wurde 2023 ein Gesetz erlassen, das die Opfer von Staudammbauten entschädigen soll – allerdings nicht rückwirkend. „Das ist ein wichtiger Schritt, aber längst nicht ausreichend“, betont Nara. Das MAB wird weiterhin für umfassende Entschädigungen und bessere Schutzmaßnahmen kämpfen.

Die brasilianische Regierung und internationale Unternehmen müssen die wahren Kosten dieser Projekte erkennen und in nachhaltige, umweltfreundliche und sichere Alternativen investieren. Nur durch ein Umdenken und den Einsatz für den Schutz der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen kann ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Fortschritt und Umweltschutz erreicht werden.