Wie kann Geschlechtergleichstellung von Seiten einer Landesregierung und -verwaltung umgesetzt werden? Wir haben uns dazu mit Sabine Hilbert, Abteilungsleiter-Stellvertreterin – Abt. Familien und Generationen, getroffen.
Was haben Sie in Ihrer Funktion als Abteilungsleiter-Stellvertreterin mit Gleichstellung und der Strategie Gender Mainstreaming zu tun?
In der Abteilung Familie und Generationen ist die Geschäftsstelle Gender Mainstreaming* angesiedelt, die den Gender Mainstreaming Arbeitskreis (GM AK) unterstützt. Der Gender Mainstreaming Arbeitskreis wurde per Regierungsbeschluss im März 2004 ins Leben gerufen und ist abteilungsübergreifend besetzt.
Wie sieht ihr Arbeitsalltag zum Thema Gender im Amt der NÖ Landesregierung aus?
Gender Mainstreaming ist eine Querschnittsmaterie, die die Abteilungen jeweils eigenständig umsetzen. Unsere Aufgabe ist es daher, entsprechende Informationen weiterzugeben, auf Anfrage unterstützend tätig zu sein oder auch Pilotprojekte zu einzelnen Themen ins Leben zu rufen. In den letzten Jahren lag der Fokus vor allem auf dem Thema Gender Budgeting**, das seit der Bundeshaushaltsreform von Bund, Ländern und Gemeinden verpflichtend umzusetzen ist.
Woher kommt Ihr Interesse zu diesem Thema?
Der erste Vorsitzende des GM AK und mein damaliger Chef hat mich 2003 gefragt, ob ich ihn bei diesem Thema unterstützen möchte. Und obwohl Gleichstellung ja beide Geschlechter gleich betrifft, habe ich sofort – als Frau – das Angebot angenommen. Also: der 1. Zugang war sicherlich die persönliche Betroffenheit, speziell im Bereich Vereinbarkeit Beruf und Familie.
Mittlerweile hat sich das Interesse vertieft und ist auch theoretischer geworden – insbesondere durch die Auseinandersetzung mit dem Konstruktivismus als Zugang zur Dimension Geschlecht.
Über all dem schwebt aber die Frage, wem nutzt Gleichstellung. Dabei bin ich der festen Überzeugung, dass eine Gleichstellung der Geschlechter für die gesamte Gesellschaft ein Gewinn ist.
Was sind ihre bisherigen Erfolge? Welche Maßnahmen konnten umgesetzt werden?
Die Implementierung von Gender Budgeting als Querschnittsmaterie in der NÖ Landesverwaltung hat uns in den letzten Jahren intensiv beschäftigt (und wird es noch weiterhin tun). Hier geht es vor allem darum, ganz konkret Zugänge zu schaffen, d.h. für die einzelnen BearbeiterInnen in den Abteilungen Informationen aufzubereiten, Verständnis für das Thema zu schaffen, Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dies ist eine Arbeit mit „Ups and Downs“, aber es gab einige Erfolge und Aha-Erlebnisse, wie gut Abteilungen arbeiten.
Intensiv ist auch immer wieder die Diskussion des geschlechtergerechten Formulierens – das beginnt mit dem Missverständnis, dass das Binnen-I das Ziel der Gleichstellungspolitik ist, bis hin zur Diskussion, welche Methoden angewandt werden sollen. Sprache ist etwas sehr persönliches, der eigene Stil steht hier oft im Vordergrund, so dass gesellschaftspolitische Anliegen weniger Beachtung finden.
Wo sehen Sie in diesem komplexen Handlungsfeld noch Handlungsbedarf?
Eigentlich noch überall, aber vor allem:
– Geschlechterstereotypien sind noch immer maßgeblich bei der Auswahl von Ausbildungen und Beruf. Durch die zunehmende Digitalisierung besteht die Chance, Gender Gaps zu schließen – aber auch die Gefahr, dass die Geschlechterunterschiede noch größer werden. Z.B. nicht geschlechtersensible Algorithmen können Verzerrungen immer weiter fortschreiben und verstärken. Das Problembewusstsein ist hier nur begrenzt vorhanden.
Mädchen und Frauen verfügen genauso über Begabungen im technisch-mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich, sie müssen nur den Mut haben, sie auch beruflich zu nutzen.
– Geschlechterstereotypien im Bereich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. Reproduktionsarbeit. Wenn viele Väter zwei Monate in Karenz gehen (teilweise gemeinsam mit der Mutter), so ist dies eine wunderschöne Familienzeit, aber bricht noch keine Vorurteile auf. Das Engagement der Väter ist so wichtig für Kinder und das Ideal einer „caring masculinity“ für die gesamte Gesellschaft. Eine Beteiligung von Männern in der täglichen Arbeit und des Haushalts würde einige Zugänge – auch klimarelevante – ändern. Damit würde aus meiner Sicht die Alltagstauglichkeit von z.B. technischen Lösungen mehr hinterfragt werden. Wie muss ein Radweg ausgestattet sein, dass er auch mit Kinder im Alltag genutzt werden kann? Da kommt es auf die Breite, Sichtbarkeit und Ausstattung der Radwege an. Eine weitere technische Finesse ist das Belüftungssystem, bei dem Fenster nicht oder nur seltener geöffnet werden dürfen. Folge ist das z.B. dass die Kinder der Oma nicht nachwinken können, weil dann das Heizsystem irritiert wird.
– Besonders großer Handlungsbedarf besteht bei dem Thema „Gewalt gegen Frauen“. Diese beginnt bei Alltagssexismen und endet beim Femizid. Ursachen sind oft falsch verstandene Bilder von Männlichkeit und eine Abwertung von Frauen. Solange solche Haltungen in einer Gesellschaft vorhanden sind, sind wir nicht am Ziel.
Gleichstellung als Thema ist noch nicht in allen Köpfen verankert. Vor welchen Herausforderungen steht die Gesellschaft?
Für viele Menschen sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern „naturgegeben“ bzw. stellen auch einen Wert dar. Ich wurde schon oft in Seminaren oder Vorträgen gefragt, ob wir denn den „kleinen Unterschied“ beseitigen wollen. Nein, Gender Mainstreaming richtet sich nicht „gegen“ Individuen und deren Lebensgestaltung, sondern gegen diskriminierende Strukturen. Und hiermit zielt Gleichstellungspolitik auf mehr individuelle Wahlfreiheit. Es geht nicht um ein „Entweder-oder“, sondern um ein „sowohl – als auch“. Bis dies in den Köpfen verankert ist – und zwar in weiblichen gleich wie in männlichen – ist es noch ein weiter Weg.
Dieser Weg ist aber „gepflastert“ mit einem Arbeitskräftemangel, der die Beteiligung vieler gut ausgebildeter Frauen am Arbeitsmarkt erfordert. Mit einer geringen Fertilitätsrate, die noch geringer ausfallen wird, wenn die Frage der Vereinbarkeit weiterhin nur den Frauen zugeschoben wird. Mit den Herausforderungen der Digitalisierung, die eine gleichwertige Einbeziehung weiblicher Lebenswelten notwendig macht. Mit den Herausforderungen einer klimafreundlichen Mobilität, die nicht an traditionell männlichen Mobilitätsmustern ausgerichtet ist. U.v.a.m.
Sie beschäftigen sich auch mit geschlechtergerechter Sprache. Wie wichtig ist diese aus Ihrer Sicht?
Wie Paul Watzlawik schon feststellt, Sprache schafft Wirklichkeit. Wirklichkeit ist das Ergebnis von Kommunikation. Dabei sind die Grenzen der Sprache die Grenzen des eigenen Weltbilds.
Daraus folgert, dass ich kein Bewusstsein über Geschlechterunterschiede schaffen kann, wenn ich diese nicht sprachlich ausdrücke, sondern mit dem „generischen Maskulinum“ verschleiere. Wenn ich die Unterschiede nicht benenne, dann existieren sie auch nicht in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Daher ist Sprache ein wichtiges Werkzeug zum Erlangen von Geschlechtergleichstellung.
Dabei müssen wir aber unterschiedliche Formen des „Genderns“ unterscheiden: Während die explizite Nennung von Männern und Frauen oder die Verwendung des Binnen-Is auf die Geschlechtergleichstellung abzielen, geht es bei der Verwendung von Gender-Sternchen, Gender-Unterstrich oder Gender-Doppelpunkt um einen diskriminierungsfreien Sprachgebrauch, der alle Geschlechter – auch jene jenseits der binären Konstruktion von Frau und Mann – einschließt.
Ihr Lieblingszitat bzw. Spruch rund ums Thema Gleichstellung?
Ein US-amerikanischer Soziologe beschreibt ein Privileg, als etwas das der oder die Privilegierte nicht sieht – am Beispiel eines Mannes, für den Geschlecht keine relevante Kategorie darstellt. Weil er daraus keine Diskriminierung erfährt.
Ein mittlerweile pensionierter Arbeitskollege beschrieb seinen „Traum“ – mit den entsprechenden ironischen Untertönen – immer folgendermaßen: „In meinem nächsten Leben werde ich eine Frau. Wenn ich dann von der Arbeit heimkomme, wartet schon so viel auf mich: der Staubsauger, die Waschmaschine, der Herd. Wenn ich als Mann jetzt heimkomme, wartet nichts auf mich. Ich kann mich nur aufs Sofa vor den Fernseher legen.“ Da will doch jeder Mensch gleich tauschen, oder?
Es ist eine Überzeichnung, doch steckt ein Körnchen Wahrheit darin…
*Gender Mainstreaming: Gender Mainstreaming bedeutet, dass die Politik, dass aber auch Organisationen und Institutionen jegliche Maßnahmen, die sie ergreifen möchten, hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frauen und von Männern untersuchen und bewerten sowie gegebenenfalls Maßnahmen zur Gleichstellung ergreifen. Das heißt, in allen Phasen der Planung, Durchführung und Auswertung von Maßnahmen müssen die unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen und Männern und die Auswirkungen auf beide Geschlechter berücksichtigt werden.
**Gender Budgeting: Ein Budget soll so geplant werden, dass für die Anliegen von Frauen und Männern gleich viele Mittel zur Verfügung stehen. Ziel von Gender Budgeting ist es, auf die Bedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen gezielt einzugehen.