Frau Kimberley Crasto lebt und arbeitet in der indischen Metropole Mumbai. Dort studierte sie Textiltechnik, schloss das Studium schon in sehr jungen Jahren ab und arbeitet nun seit acht Jahren im Unternehmen Creative Handicrafts in Mumbai. Durch ihre besondere Kommunikationsfähigkeit und ihr Organisationstalent hat sie schnell Karriere gemachte, ist zur Head Merchandiser aufgestiegen und für die Koordination der Produktion zuständig.
Dabei agiert der stark wachsende Textilbetrieb alles andere als branchenüblich. Das wichtigste Ziel bei Creative Handicrafts ist die konsequente Förderung von Frauen. Denn die indische Fairhandels – Organisation beschäftigt benachteiligte Frauen aus den Armenvierteln von Mumbai und sorgt in unterschiedlichsten Bereichen für die Verbesserung ihrer Lebenssituation. Gegenwärtig sind bereits über 1000 Frauen beschäftigt. Sie werden als Näherinnen geschult und sind in Selbsthilfegruppen und Kooperativen organisiert. Aber eben auch im Management Bereich sind Frauen stark vertreten und bilden mit gut ausgebildeten Expertinnen den größten Anteil an der Betriebsleitung.
Kimberley Crasto meint, es ist in Indien zwar keine Ausnahme mehr, als Frau eine höhere Berufsposition einzunehmen, aber es gibt einen sehr wettbewerbsorientierten Markt und Frauen haben immer noch ganz andere und weit stärkere familiäre Verpflichtungen als Männer. Viele Frauen heiraten in sehr jungen Jahren und sind oft allein für Familie und Kinder verantwortlich. Deshalb wird es im zunehmenden Alter für die meisten Inderinnen immer schwieriger Arbeit und Privatleben unter einen Hut zu bringen. Das ist ein Hauptgrund, warum Frauen dazu neigen, ihren Job früh zu verlassen oder in einen Halbtagsjob zu wechseln. Dies wiederum gibt den Männern sehr viel mehr Möglichkeiten, um schneller und leichter Führungspositionen zu erreichen. Kimberley Crastro ist überzeugt, dass es dazu in ihrer Heimat noch einiges an Veränderungen braucht und das vor allem eine fundierte Ausbildung am Wichtigsten ist, um aus der Armutsfalle rauszukommen!
Seit 2014 ist Frau Crasto bei Creative Handicrafts als leitende Kauffrau angestellt. Am Anfang war es für sie schwierig, eine leitende Position im Betrieb einzunehmen, besonders weil es männliche Kollegen gab, die schon viele Jahre dabei waren. Sie hatten bereits viel Erfahrung und mussten damit zurechtkommen, dass nun eine junge Frau neue Wege gehen möchte und Ideen für Verbesserungen einbrachte.
Mittlerweile ist das natürlich anders, sie kommt mit ihren Kollegen sehr gut zurecht. Aber weil sie jetzt junge Mutter eines zweijährigen Sohnes ist und gemeinsam mit ihrem Mann nun auch eine Familie organisieren muss, gibt es gegenwärtig viele neue Herausforderungen. Frau Crasto möchte Karriere und Familie gut unter einem Hut bekommen. “Es gibt Tage, an denen ich in den Arbeitspausen mit meinem Sohn zu einem Arzttermin laufen muss. Es ist oft nicht einfach aber nichts ist unmöglich!” Sie ist mittlerweile sehr multitaskingfähig, denn alle Termine und Lieferungen im Betrieb müssen eingehalten werden. Jedoch kann sie sich auf die Unterstützung ihrer Familie verlassen, wodurch der Alltagsstress verringert wird.
1200 Frauen finden Arbeit in der Kooperative
Die eigentliche Motivation für ihrer Arbeit schöpft Kimberley Crasto allerdings in der Vision von Creative Handicrafts. Begonnen hat es im Jahre 1984 durch die spanische Nonne Isabel Martin, die damals die Slums von Mumbai besuchte, und mit zwei Frauen begann, Stofftiere für Kinder herzustellen. Es entstand die erste Kooperative (Women Self Employment Coop) zur Herstellung von Textilien, Stofftieren und Handwerk für die Vermarktung. Dieses Beispiel machte Schule und animierte Frauen weitere Kooperativen zu gründen. 1994 gründete sich eine unabhängige Produzentenorganisation unter dem Namen Creative Handicrafts. Drei Jahrzehnte später sind etwa 1200 Frauen über Selbsthilfegruppen und Kooperativen eingebunden. In der Textilproduktion selbst arbeiten rund 300 Frauen in 10 Nähzentren. Zusätzlich werden während der Hauptproduktionszeit bis zu 500 Frauen beschäftigt.
Die Näherinnen stammen alle aus den Slums von Mumbai. Heute erlernen die Frauen nicht nur die fachliche Ausbildung, sie erhalten Kurse in Selbstverteidigung, Rechtskunde, Umgang mit häuslicher Gewalt (an dieser Schulung nehmen auch die Ehemänner teil) oder die Abwicklung von Bankgeschäften. Gearbeitet wird sechs Tage pro Woche, täglich acht Stunden. Die Kinder der Näherinnen werden währenddessen in der Kinderkrippe, im Kindergarten oder in der Schule betreut.
Die G.O.T.S. und FAIRTRADE zertifizierte Bio-Baumwolle wird in Österreich unter der Modemarke Anukoo v. a. über die EZA Fairer Handel vertreiben und in den Weltläden angeboten. Aus diesem Grund war Kimberley Crasto vor sechs Jahren auch zu Gast in Österreich und berichtete in Schulen, Gemeinden und in Weltläden über ihre Aufgaben und Herausforderungen in Indien. Sie erinnert sich gerne an den Besuch zurück und spricht über die großen Unterschiede zu Indien: “Allein in Mumbai leben mehr als doppelt so viele Menschen als in Österreich! Wenn ich bei uns aus dem Haus gehe, treffe ich überall auf Leute. In Österreich ist mir alles ruhig und leer vorgekommen. Bei uns sind überall Straßenmärkte, das Leben spielt sich draußen ab, bei euch spielt sich alles in Innenräumen ab!”
Unsere gemeinsame Herausforderung: Die Klimakrise
Aber was sich auf der ganzen Welt draußen in der Natur abspielt ist der Klimawandel! Diese Tatsache ist für Frau Crastro ein globales Problem. In Indien häufen sich in den letzten Jahren extreme Temperaturen, Hitzewellen, Stürme und Flutkatastrophen. “Was wir in der Klimakrise tun können ist in unseren Familien, im Freundeskreis und mit Arbeitskolleg:innen darüber zu sprechen und gemeinsam ein Bewusstsein zu schaffen, dass wir unser Verhalten verändern müssen!” meint die Textilexpertin. Individuelle Möglichkeiten sieht sie vor allem im Mobilitätsverhalten: „Wir sollten alle sehr darauf achten, wie wir auf unseren Wegen zu den Schulen und Arbeitsplätzen unterwegs sind und uns für den öffentlichen Verkehr und gegen individuelles Autofahren entscheiden!”
Arbeitsplatzsicherheit auch nach der Corona-Pandemie
Zu großen Veränderungen im Denken und Handeln wurden wir auch durch die Corona – Pandemie gezwungen. Bei Creative Handicraft hat die Pandemie die komplette Struktur durcheinandergebracht. Die Näherinnen arbeiten natürlich in Gruppen zusammen. Das bedeutet enger Kontakt und körperliche Nähe in geschlossenen Räumen. Da war ein normales Weiterarbeiten selbstverständlich nicht mehr möglich. Die Anwesenheit der Frauen musste reduziert werden, sie mussten Plastikschilder und auch Masken tragen, was natürlich die Arbeit erschwert hat. Die Produktion und der Umsatz wurden verringert und Bestellungen mussten gestoppt werden. Es war eine sehr schwierige Zeit für Creative Handicraft, aber jetzt ist wieder Normalbetrieb zurückgekehrt und das Wichtigste ist: Alle Arbeitsplätze konnten erhalten bleiben!
Für die Zukunft wünscht sich Kimberley Crasto, dass ihr nachhaltiger Textilbetrieb weiterwächst und Creative Handicraft kontinuierlich eine gute Entwicklung nimmt. Denn für die Näherinnen bedeutet es eine enorme Verbesserung der Lebensqualität! Für die Gesellschaft in Indien und auf der ganzen Welt hofft sie, dass Frauen in Würde leben können, als gleichberechtigte Partner:innen in einem gewaltfreien Umfeld und frei von Diskriminierung. Außerdem braucht es für alle Frauen einen uneingeschränkten Zugang zu all ihren Rechten, damit eine echte Gleichstellung der Geschlechter endlich verwirklicht werden kann!
Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit EZA Fairer Handel durch Adrie Danner und Thomas Wackerlig, Berater der FAIRTRADE Gemeinden NÖ, Videoschnitt: Clemens Grossberger, Klimabündnis NÖ