Partizipation: Interview mit Barbara Ruhsmann von ÖGUT

Gleich.wandeln hat mit Barbara Ruhsmann von der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) über Partizipation gesprochen.

Was verstehen Sie unter Partizipation?

Wirksam werden. Dass Menschen – egal, wie alt sie sind, unabhängig davon, wo sie geboren wurden, welche Schulen sie besucht haben, ob sie am Land oder in der Stadt wohnen, vermögend sind oder nicht – in der Welt, die sie umgibt, etwas bewirken, mitreden und mitgestalten können.

Welche Bedeutung hat Beteiligung auf lokaler Ebene – also in Gemeinden bzw. Regionen? Welche Chancen und Herausforderungen entstehen?

Beteiligung hat auf lokaler Ebene eine sehr große Bedeutung. Das unmittelbare Wohnumfeld hat einen direkten Einfluss auf die Lebensqualität von Menschen. Kann ich da, wo ich wohne, wo ich Zuhause bin, ein gutes, sicheres, gesundes Leben führen? Was brauche ich dafür? Was fehlt mir? Bevölkerung, Politik und Verwaltung sollten über diese so einfachen wie grundsätzlichen Fragen immer wieder in Dialog treten (und nicht erst in Konfliktsituationen, wenn z. B. durch Bauvorhaben bereits Stimmungen aufgeschaukelt sind). Beteiligung hat gerade auf lokaler Ebene sehr gute Chancen auf Erfolg und auf eine nachhaltige Verankerung von Ergebnissen. Die größte Herausforderung für Beteiligungsprozesse – unabhängig davon, auf welcher Ebene sie stattfinden – sehe ich in erster Linie bei den zur Verfügung stehenden Ressourcen bzw. deren Verteilung. Es ist z. B. noch immer nicht selbstverständlich, für die Beteiligung von Bürger:innen in den Budgets von Kommunen und Regionen finanzielle Mittel einplanen zu können.

Wie wichtig ist es, dass verschiedene Gruppen in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen?

Das Einbeziehen unterschiedlicher Gruppen ist nicht immer einfach, aber sehr zentral. Man hört oft die Klage, dass bei Beteiligungsprojekten „eh nur die üblichen Verdächtigen“ mitmachen. Also Menschen, die ohnehin schon sehr aktiv und engagiert sind in ihrem Bezirk oder in ihrer Stadt, die meistens auch gut gebildet sind und in einer Lebenssituation, die ihnen Zeit lässt für Engagement. Menschen, die z. B. noch nicht gut Deutsch können oder junge Eltern, die gerade voll eingespannt sind in Erwerbs- und Familienarbeit, Menschen mit Behinderungen oder auch Ältere, die nicht mehr so mobil sind, trifft man bei Beteiligungsprojekten tatsächlich seltener an. Es braucht aber gerade ihre Stimmen und Perspektiven ganz dringend für die gerechte Gestaltung und Weiterentwicklung unserer Orte und unserer Gesellschaft. Es lohnt sich sehr, hier im Rahmen von Beteiligungsprojekten gezielte, „aufsuchende“ Arbeit zu machen, mit Vereinen und Institutionen (z. B. Altersheimen) zu kooperieren, Online-Formate für die Menschen in der „Rushhour des Lebens“ anzubieten etc. Ein Beispiel dazu: Solange man halbwegs gesund und fit oder vor allem mit dem Auto unterwegs ist beim Einkaufen, kommt man gar nicht auf die Idee, Sitzgelegenheiten entlang einer Straße zu vermissen. Für ältere oder gesundheitlich angeschlagene Menschen ist es dagegen sehr zentral, dass sie immer wieder eine Rast einlegen können auf dem Weg z. B. zum Supermarkt und retour nach Hause. Es ist oft der erste Wunsch, den sie bei Beteiligungsprojekten zur Gestaltung des öffentlichen Raums nennen: Bitte mehr Bankerl! Je unterschiedlicher die Perspektiven, die in Beteiligungsprojekte einfließen und gehört werden, desto gerechter und ausgewogener werden die gefundenen Lösungen und Umsetzungen.

Sie sind u.a. für die Konzeption und Durchführung von Vor-Ort-Sanierungsberatungen in Gemeinden zuständig. Welche Methoden kennen Sie, um möglichst viele Bevölkerungsgruppen in einer Gemeinde zu erreichen? Wie kann ich sicherstellen, dass die „richtigen Personen“ eingebunden sind?

Um möglichst viele Menschen in einer Gemeinde zu erreichen, muss man idealer Weise so viele Kommunikationskanäle wie möglich bespielen: Beginnend bei Gemeinde-eigenen Medien (Newsletter, Zeitungen, Aushänge, postalische Aussendungen) über Kooperation mit Multiplikator:innen, welche die Information in ihre Communities hineintragen, bis zu Info-Ständen im öffentlichen Raum, wo man Menschen direkt anspricht und zu einem Beteiligungsprojekt einlädt. Zu den Multiplikatorinnen und Multiplikatoren können beispielsweise zählen: Kirchliche Organisationen und Gruppen aller Konfessionen, Theatergruppen, Musikgruppen, Schulen, Pensionist:innenheime und -klubs, Organisationen von Parteien, Kulturvereine, Jugendzentren und weitere Gruppierungen, die in der jeweiligen Gemeinde gut vernetzt und verankert sind.

Gibt es Projekte bzw. Themen, wo Partizipation nicht sinnvoll ist?

Beteiligungsprojekte machen eindeutig dann keinen Sinn, wenn mit den Ergebnissen nicht weitergearbeitet wird und bei Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entsteht, dass ihr Engagement wirkungslos verpufft ist.

Woran erkennen Sie gelungene Partizipations-Prozesse?

Gelungen ist Beteiligung dann:
o wenn alle Beteiligten dabei etwas für sich Gutes, Wertvolles gelernt haben,
o wenn im Dialog mit anderen neue Sichtweisen entstanden sind
o oder Lösungen für eine Herausforderung, an die man zu Beginn noch gar nicht gedacht hat,
o wenn alle Beteiligten froh und sogar stolz sind, dabei gewesen zu sein, weil sie sich als wirksam erlebt haben,
o wenn für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Ergebnisse des Prozesses in ihrem Umfeld, ihrem Alltag sichtbar und fruchtbar geworden sind.

Was ist ihre Lieblingsmethode und warum?

Die Community of Practice (Gemeinschaft von Lernenden), die vor allem eine Methode zur Selbstorganisation ist. Ziel einer CoP ist es, zu einer konkreten Herausforderung für einen begrenzten Zeitraum eine Gemeinschaft von Lernenden zu bilden. Unsere Vor-Ort-Sanierungsberatungen in Gemeinden hatten genau die Schaffung solcher Communities of Practice zum Ziel: Viele Einfamilienhaus-Besitzerinnen und -Besitzer stehen seit einiger Zeit vor der Herausforderung, ihre Häuser klimafreundlich umzurüsten – also gut zu dämmen, um weniger Energie zu verbrauchen, und eine Alternative für Öl- und Gasheizungen zu überlegen. Wir haben gemeinsam mit Gemeinden zu öffentlichen Energieberatungen direkt bei zu sanierenden Häusern eingeladen. Eingeladen waren Nachbarinnen und Nachbarn, Gemeinde-Verantwortliche und allgemein interessierte Bürgerinnen und Bürger. Es ergaben sich jeweils sehr konstruktive Dialoge, wo alle ihre Erfahrungen zum Sanieren und Dekarbonisieren beisteuerten und auch über die Veranstaltung hinaus miteinander in Kontakt blieben.

Gerade die Veränderungen in unserem Leben, die durch Klimaschutz und Klimawandel-Anpassung notwendig sind, sind herausfordernd. Deshalb ist es so wichtig, nicht allein zu verzweifeln, sondern „Gemeinschaften von Lernenden“ zu bilden, sich gegenseitig zu unterstützen, von den Erfahrungen anderer zu profitieren und gemeinsam neue Lösungen zu finden.

Was war ihr bisher größtes Projekt? Wie ist es abgelaufen?

Mein bisher größtes Projekt war die Leitung des Organisationsteams des österreichischen Klimarats der Bürgerinnen und Bürger. Der Klimarat war die erste Citizens‘ Assembly auf nationaler Ebene hierzulande. Rund 100 Bürgerinnen und Bürger aus ganz Österreich mit sehr unterschiedlichen biografischen Hintergründen haben 2022 über sechs Wochenenden hinweg Empfehlungen für eine „klimagesunde Zukunft“ erarbeitet. Es würde den Rahmen dieses Interviews sprengen, hier über den gesamten Ablauf zu berichten. Auf der Website https://klimarat.org/ kann man aber noch immer den Verlauf des Prozesses nachlesen. Für mich war es in jedem Fall ein Projekt, aus dem ich immens viel mitgenommen habe. Zuvorderst das: Wir sind keine so polarisierte Gesellschaft, wie das medial oft kolportiert wird. Wenn der Rahmen stimmt, wenn man Menschen einen guten Raum für Dialog eröffnet, in dem einander wertschätzend zugehört wird, dann können wir uns nach wie vor – so unterschiedlich wir auch sein mögen – auf etwas Gemeinsames einigen und konstruktive Lösungen für die Zukunft finden. Der Klimarat war eine unglaublich ermutigende Erfahrung für alle, die daran beteiligt waren. Jede und jeder ist ein Stück über sich hinaus gewachsen – vom Ich zum Du zum Wir.

Zur Person

Foto: ÖGUT

Barbara Ruhsmann arbeitet seit 2021 in den Themenbereichen Partizipation und Innovatives Bauen in der ÖGUT. Sie moderiert zahlreiche Workshops im Bereich Bauforschung, Energie und Klimaschutz, leitete den „Klimarat der Bürgerinnen und Bürger” und ist für die Konzeption und Durchführung von Vor-Ort-Sanierungsberatungen in Gemeinden zuständig.