Wir haben mit drei führenden Expertinnen über Gleichstellung und die Klimafrage gesprochen. Mit dabei sind Mag. Helene Gressenbauer-Rösner, Präsidentin von UN Women Austria, Michaela Ernst, Chefredakteurin & Co-Founderin des Wirtschaftsmagazins SHEconomy und Dr. Andrea Barschdorf-Hager, CEO von CARE Österreich – der NGO für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe.
Sind Frauen vom Klimawandel stärker betroffen als Männer?
SHEconomy-Chefredakteurin Michaela Ernst sieht Menschen in unseren wohlhabenden Breitengraden eher gleichermaßen vom Klimawandel betroffen. Aber in Gesellschaften und Regionen, in denen Frauen ohnedies benachteiligt sind, haben diese auch stärker unter den Folgen des Klimawandels zu leiden.
„Da der Klimawandel Konflikte auf der ganzen Welt vorantreibt, sind Frauen und Mädchen zunehmend gefährdet – durch alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich konfliktbedingter sexueller Gewalt, Menschenhandel, Kinderheirat und anderer Formen der Gewalt“, betont UN Women Austria Präsidentin Helene Gressenbauer-Rösner. Zusätzlich zeigen Untersuchungen, dass ein erhöhtes gesundheitliches Risiko für Frauen besteht, besonders im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt. So erhöht extreme Hitze die Häufigkeit von Totgeburten. Zudem verstärkt der Klimawandel die Ausbreitung von Vektor-übertragenen Krankheiten wie Malaria, Dengue-Fieber und Zika-Virus, was besonders zu Problemen bei werdenden Müttern und im neonatalen Bereich führt.
Auch CARE Österreich Geschäftsführerin Andrea Barschdorf-Hager betont Unterschiede: „Frauen und Mädchen sind einem 14-fach höheren Risiko ausgesetzt als Männer, bei Naturkatastrophen zu sterben und stärker von klimabedingten Vertreibungen betroffen. Die Aufgaben, die Frauen im Haushalt, für die Ernährung der Familie und in der Sorgearbeit übernehmen, werden durch die Auswirkungen der Klimakrise aufwendiger: So müssen viele Frauen und Mädchen immer größere Strecken zurücklegen, um z. B. Wasser oder Feuerholz zu holen. Das reduziert Zeit und Energie, die sie für andere Tätigkeiten benötigen würden: etwa in Bildung, Präventionsmaßnahmen oder in gesellschaftliches und politisches Engagement.“
Wo liegen die Gründe dafür, dass Frauen unverhältnismäßig stark vom Klimawandel betroffen sind?
„Die Klimakrise ist nicht geschlechtsneutral.“, stellt Helene Gressenbauer-Rösner klar.
„In Ländern und Regionen, wo die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern ohnehin sehr stark ausgeprägt sind, treten diese unter den Auswirkungen des Klimawandels noch stärker zutage“, erklärt Andrea Barschdorf-Hager. So sind Frauen häufig in der Subsistenzlandwirtschaft tätig und damit unmittelbar von den Auswirkungen extremer Wetterereignisse betroffen, wenn zum Beispiel die Ernte ausfällt. Dann verschlechtert sich die Ernährungssituation von z. B. Bäuerinnen in der Sahelzone dramatisch, denn diese erwirtschaften auch in guten Jahren kaum ausreichend Überschüsse.
Michaela Ernst sieht die Landwirtschaft ebenfalls als kritischen Bereich an: „Dürren oder Naturkatastrophen bedeuten für Frauen verheerende Folgen. Die Männer ziehen in die nahen Ballungszentren oder dorthin, wo es Geld zu verdienen gibt, die Frauen bleiben mit den Kindern in der Armut zurück.“
Diese verschärfte Situation hat auch Folgen für die nächste Generation: „Dies erhöht zum Beispiel auch den Druck auf Mädchen, die Schule zu verlassen, um ihren Müttern zu helfen, die erhöhte Belastung zu bewältigen“, ergänzt UN Women Austria Präsidentin Helene Gressenbauer-Rösner.
Wird dieses Problem inzwischen öffentlich wahrgenommen?
„Aus der Sicht von CARE viel zu wenig. Einerseits wird immer noch oft davon ausgegangen, dass die Auswirkungen des Klimawandels für alle Menschen gleich schlimm sind. Andererseits finden diese Probleme mehr Aufmerksamkeit besonders bei globalen Institutionen. So wird zum Beispiel im aktuellen Weltklimabericht explizit darauf hingewiesen, dass Frauen und Mädchen speziell unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden. Trotzdem will ich betonen, dass vor allem Frauenorganisationen in den letzten Jahren viel an anwaltschaftlicher Arbeit und Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Thema gemacht haben, das in einem Gender Action Plan und einem eigenen Gender Tag bei COP 26 seinen Niederschlag gefunden hat. Meiner Wahrnehmung nach ist das noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen“, gibt CARE CEO Andrea Barschdorf-Hager zu bedenken.
SHEconomy-Chefredakteurin Michaela Ernst zufolge wird das Problem „seit Jahrzehnten öffentlich wahrgenommen, es ändert sich nur viel zu langsam etwas […]. Was ich aber schon glaube: Dass die Zahl von Hilfsprojekten und privaten Initiativen stark zugenommen hat.“
UN Women beispielsweise „weist dieses Jahr genau auf diese verschärfte Problematik mit Informationskampagnen hin“, erzählt uns Präsidentin Helene Gressenbauer-Rösner. Sowohl der International Women’s Day 2022 als auch die diesjährige UN-Konferenz “Commission on the Status of Women” sind diesem aktuellen Thema gewidmet. Durch das Motto des Weltfrauentags am 8. März “Gleichheit der Geschlechter heute für ein nachhaltiges Morgen” wurde das Problem bereits in öffentliches und mediales Interesse gerückt. Ebenso stellt die jährlich Frauenstatuskommission der Vereinten Nationen den Kontext her: zwischen der Klimakrise und den Maßnahmen darauf einerseits und der Situation und der Einbindung von Frauen andererseits. Es soll damit auf breiter Ebene eine Diskussion angeregt und ein Fortschritt bei den Antworten auf die Klimakrise unter zwingender Einbeziehung der Frauen angestoßen werden.
Was können wir tun, um Frauen einzubinden und Geschlechterfragen im Klimawandel zentral zu verankern?
„Aktives Mitspracherecht von Frauen nicht nur im eigenen Haushalt und Umfeld, sondern auch bei lokalen und regionalen Entscheidungsprozessen“, hält Andrea Barschdorf-Hager für besonders wichtig: „Wir wissen, dass Projekte nachhaltiger sind, wenn Männer und Frauen komplementäre Rollen spielen und gleichberechtigt in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Unter aktiver Mitwirkung von Frauen sind z. B. Wasserkomitees erfolgreicher und es werden umfassendere lokale Anpassungspläne entwickelt. Auch ratifizieren Länder mit einem höheren Frauenanteil in den Parlamenten im Allgemeinen mehr klimarelevante Verträge. Gleichzeitig muss man darauf achten, auch für Frauen und Mädchen den Zugang zu Wissen, Weiterbildung und qualitativer Schulbildung generell zu schaffen und zu erleichtern, denn nur wer seine Rechte und die allgemeinen – auch klimatischen Zusammenhänge – kennt, kann diese auch einfordern und nachhaltige Verbesserungen herbeiführen. Hier ist aber noch viel zu tun: Obwohl die Relevanz der Geschlechterperspektive international anerkannt ist, waren auch bei den letztjährigen Klimaverhandlungen Frauen in einflussreichen Positionen deutlich unterrepräsentiert. Klimabezogene Strategien und Programme integrieren geschlechtsspezifische Aspekte selten systematisch. Manche politischen Entscheidungen und Maßnahmen drohen gar bestehende Ungerechtigkeiten zu verschärfen, wenn etwa Waldgebiete, die vor allem von indigenen Bevölkerungsgruppen genutzt werden, in Naturwaldreservate umgewandelt werden und indigenen Frauen keine angemessenen Alternativen zur Beschaffung von Nahrung und Feuerholz angeboten werden.“
Helene Gressenbauer-Rösner zufolge ist es „von entscheidender Bedeutung, die geschlechtsspezifische Kluft bei der Präsenz von Frauen in technischen Berufen zu schließen und mehr Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen im MINT-Sektor zu schaffen, um sicherzustellen, dass sich die Perspektiven und Anliegen von Frauen und damit die Diversität in Innovationen widerspiegeln. Das könnte auch dazu beitragen, das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu verringern und die Beschäftigung insgesamt anzukurbeln.
Dazu gehören Maßnahmen, die sowohl die Partner des öffentlichen als auch des privaten Sektors ergreifen können. Wie zum Beispiel die Beseitigung von geschlechterspezifischen Stereotypen in Schule und Bildung und die Einführung geeigneter Maßnahmen zur Gewinnung und Unterstützung von Wissenschaftlerinnen. Es könnte sogar die Einführung von Quoten bei Forschungszuschüssen überlegt werden.
Im vergangenen Jahr wurde durch das UN – “Generation Equality Forum” unter anderem eine Action-Coalition als technologie- und innovationsorientierte Initiative zur Gleichstellung der Geschlechter ins Leben gerufen. Ziel ist es, den Anteil der in technischen Bereichen tätigen Frauen bis 2026 zu verdoppeln und damit sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen uneingeschränkt, und auch in Führungspositionen an der Suche nach Lösungen für die großen, komplexen und interdisziplinären Probleme beteiligt sind.“
„Dazu tragen wichtige Sozialnetzwerke wie Ashoka bei, aber auch zahlreiche Start-ups aus dem NGO-Bereich und/oder kostenloses digital Learning wie die khan academy – allerdings müssen die Menschen hier Zugang zu Computern/Smartphones haben“, ergänzt Michaela Ernst.
Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie im Zusammenhang mit den SDGs?
„In ihrer Komplexität und Breite stellen die 2015 in der Agenda 2030 gefassten 17 nachhaltigen Entwicklungsziele natürlich ein sehr ambitioniertes, aber ebenso dringendes globales Vorhaben dar“, betont UN Women Austria Präsidentin Helene Gressenbauer-Rösner. Durch die offizielle Formulierung und Anerkennung des Zieles #5 “Gender Equality” und die damit ausgedrückte weltweite Akzeptanz der Forderung nach gleichen Rechten für Frauen wird die Notwenigkeit zur Gleichstellung der Geschlechter entscheidend bekräftigt. Die Einbindung von Frauen in entscheidenden Positionen in allen Aktionsplänen ist essenziell um eine wirklich nachhaltige Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 zu ermöglichen. Die größte Herausforderung sehe ich generell in einer sinnvollen partiellen Kombination der einzelnen Ziele. So wie es UN Women dieses Jahr getan hat durch die Verknüpfung der geforderten Maßnahmen zum Klimaschutz mit der Forderung nach Chancengleichheit für Frauen in den entsprechenden Berufen. Frauen müssen ein entscheidender Partner bei allen Lösungen und Innovationen zum Klimaschutz sein.
Die Covid-19-Krise hat leider in vielen Bereichen zu einer Verschlechterung der Situation geführt. So hat sich, als ein Beispiel, die Zahl der erwerbstätigen Frauen weltweit 2020 um 54 Millionen verringert. Dadurch könnte die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und das Erreichen dieses Zieles #5, als Kernaufgabe von UN Women, erschwert und verlangsamt werden.
„Was die Umsetzung der SDGs betrifft, sehe ich aktuell viel gut gemeinte Theorie, ansonsten vor allem Rückschläge“, erzählt uns SHEconomy-Chefredakteurin Michaela Ernst. Der erfahrenen Journalistin zufolge werden bestehende Ungleichheiten durch Corona und die aktuelle Weltlage weiter verschlimmert: „Inflation, Rezession, Kriege, steigende Arbeitslosigkeit führen (selbst bei uns) zu einer Retraditionalisierung der Rollen und Aufgaben. Daher scheint mit das Engagement in der Klima-Debatte zuletzt abgeschwächt. Viele der Punkte, die 2012 beim Gipfel in Rio beschlossen wurden – wie Friede oder Ernährungssicherheit – sind im Moment auf eine Art bedroht, wie wir sie vor kurzem nicht denken hätten können. Oder sie befinden sich in “Schräglage” (z. B. Gesundheit oder Beschäftigung) oder Neuverhandlung (Energie). Keine leichte Zeit, um den Weltzukunftsvertrag voranzutreiben.“
CARE Geschäftsführerin Andrea Barschdorf-Hager stellt Anpassungsfähigkeit und Partnerschaft in den Fokus: „Die Förderung der Resilienz von Frauen und Mädchen in Bezug auf die Auswirkungen des Klimawandels ist grundlegend, weil Resilienz mit vielen verschiedenen Aspekten zusammenhängt, die ihrerseits nur funktionieren können, wenn die SDGs gut zusammenspielen. Um das zu erzielen, müssen sich alle Stakeholder ihrer verbindenden Rolle nicht nur bewusst sein, sondern diese auch gezielt ausüben.“